Einen Monat ist es nun her, dass ich das letzte Mal von dem mir so geliebten Zimmer meiner Second-Year Maria zum Piazza gegangen bin. Die Stufen runter, die ich so allzählige Male dieses Jahr rauf und runter gelaufen bin, vorbei an den Couchen, die zu einer der Plätzen wurden, an denen ich zum ersten Mal auf Schultern weinen konnte ohne erklären zu müssen warum und weshalb. Über die gleiche niedrige Mauer, die so unüberwindbar wirkte als ich sie das erste Mal sah. „Ah komm, du wirst dich daran noch gewöhnen, es gibt nicht wirklich einen anderen Weg.“, sagte mir Etumu damals, so lächerlich es auch war, irgendwie wollte ich ihr nicht glauben und stellte mich darauf ein, mit jeder Kraft diese Mauer für die nächsten zwei Jahre zu vermeiden. Natürlich hatte sie Recht und zurückblickend kann ich nur schmunzeln, wenn ich daran denke wie sehr mich eine einfache, niedrige Mauer gestresst hat. Irgendwie erinnert es mich aber gleichzeitig an all die niedrigen Hürden, die mich so lange verfolgt haben und jetzt einfach nur mehr in der Vergangenheit liegen.

Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, es wären diese nostalgischen Gedanken, die mir durch den Kopf gingen beim Runtergehen einer Stiege. Viel mehr war mein Kopf voll mit unzähligen Gedanken, die versuchten zu begreifen, wie das letzte Jahr so schnell und gleichzeitig so langsam vergehen konnte. Es fühlte sich doch wie gestern an, dass ich grad noch meinen Weg zur Mensa finden konnte und all die Namen der Residenzen verwechselte.

So viel Trauer und Wut, die ich von Kopf bis Fuß spürte, wie konnte etwas das sich doch so stabil und bekannt anfühlte einfach enden. Die letzten Stunden fühlten sich wie ein grauenvoller Albtraum an, von dem ich einfach nicht aufwachen konnte. Meine Gedankenspirale wurde von lautem Gelächter und italienischen Konversationen unterbrochen, ich hörte eine Frau sagen: „Voglio il caffè ma anche un po d’amore“, übersetzt: Ich möchte den Kaffee, aber auch ein bisschen Liebe.

Duino war definitiv nicht das, was ich dachte, dass es sein würde. Gut kann ich mich erinnern wie sehr ich mich gezwungen hatte keine Erwartungen zu haben. Und um ehrlich zu sein, weiß ich gar nicht so genau, was ich von diesem kleinen Platz in Norditalien erwartete. Aber ich weiß, dass ich auf einem konstanten Hoch sein wollte, jeder Tag gefüllt von unvergesslichen Momenten, nächtelangen Gesprächen und Freundschaften, bei denen es einfach von der ersten Sekunde perfekt passt. Duino sollte mein “happy place” werden, wo irgendeine metaphysische Kraft wirkt, die sicherstellt, dass alles immer gut ausgeht. Man hatte mir zwar gesagt, dass es bei weitem kein Utopia sei und ich mehr Enttäuschung erfahren würde als mir lieb ist, aber glauben wollte ich das irgendwie nicht. Bald genug durfte ich das dann selber erfahren. Duino ist definitiv ein Plätze, an denen ich unzählige Tränen vergoss. Doch mit jeder Träne fühlte sich loslassen immer leichter an. Loslassen von all dem, was mich nächtelang wachhielt, loslassen von all dem, was mein Herz schwerer machte, loslassen von all dem, was ich sein wollte, aber nicht war, loslassen von all den Erwartungen an mir selber über alles und jeden so schnell wie möglich hinwegzukommen und dem Drang mich immer durchzusetzen, loslassen von all dem was Duino nicht war, so sehr es auch anfangs wehtat, und sich einfach in das verlieben, was es ist. Nicht weil es
perfekt war und all das, was ich erwartete, sondern weil es das war, was ich schon so lange brauchte. So viel ist passiert, das vor einem Jahr noch so unvorstellbar wirkte: Zugeben, dass man gerade am liebsten aufgeben würde und zulassen, dass mich andere Hände auffangen.

Sich mitten in der Nacht von den Haaren trennen, die mir so viel Sicherheit gaben, denn jetzt gaben mir andere Dinge diese Sicherheit. „Boh“ und „Ciao“ so verwenden, als wär ich damit aufgewachsen. Sich komplett öffnen und nicht verurteilt werden. Lautstarkes Karaoke singen um 3 Uhr morgens anstatt an assignments weiterzuarbeiten. Zu den Wellen des Meeres auf einem kleinen, versteckten Strand einschlafen. Lernen, was es heißt, wie schön lernen sein kann. Mit geschlossenen Augen sich in einem Kreis das Herz ausweinen, weil man das Privileg hatte, für andere Teil von einem zu Hause zu sein. Durch alle die Barrieren durchdringen, die eigenen und die anderer.

Das letzte Jahr habe ich definitiv den zurecht beliebten italienischen Kaffee bekommen, aber viel mehr unendliche Liebe. So weh es auch tut auf das letzte Jahr zurückzuschauen, weil es nun in der Vergangenheit liegt, eins ist gewiss: Ich habe selten in meinem Leben so viel Dankbarkeit spüren dürfen. Dieses College in einem kleinen Fleckchen in Norditalien hat mir nicht nur ermöglicht, mit Menschen von der ganzen Welt zu leben und lernen und meinem eigenen Wesen bewusster zu werden. Ich durfte auch erfahren, was es wirklich heißt anzukommen und mit offenen Armen begrüßt zu werden, und bald mit offenen Armen andere zu begrüßen. Ein einfaches „Dankeschön“ wird bei weitem nicht ausdrücken, wie unendlich dankbar ich bin, etwas zu haben, das solch einen großen Teil meines Herzens ausmacht, aber vielleicht ist es ein Anfang: Grazie mille a tutti.